Autogramm: BYD Seal
Gegen dieses Auto sieht sogar Tesla alt aus
China demonstriert Stärke als Autobauer: Der BYD Seal ist schlau konstruiert und fährt sehr souverän. Trotz mancher Minuspunkte an der Limousine sollte sich auch VW Sorgen machen.
Von Thomas Geiger
Der erste Eindruck: Schlank und geschmeidig – der Seal wirkt tatsächlich wie ein Seehund, von dem er seinen Namen hat.
Das sagt der Hersteller: BYD positioniert sich als aggressivster Newcomer aus Asien. Die Firma aus Shenzhen ist ganz ohne Allianzen groß geworden, nun bringt sie in kaum mehr als zwölf Monaten das vierte Modell nach Deutschland. BYD verkündet auch die ehrgeizigsten Ziele: »Mittelfristig wollen wir hier in Europa unter die Top fünf der Gesamtzulassungen«, sagt Brian Yang, der zum europäischen Führungsteam des Herstellers gehört. Auch wenn er keinen genauen Zeitplan nennt, sollten die Konkurrenten in Wolfsburg (Volkswagen) und Grünheide (Tesla) hellhörig werden. Denn Build Your Dream entwickelt sich zum möglichen Albtraum für die etablierten Autokonzerne.
Yang räumt allerdings auch das dickste Problem seiner Firma offen ein. »Wir sind der große Unbekannte in der westlichen Autowelt. Zwar verkaufen wir mehr elektrifizierte Fahrzeuge als jeder andere Hersteller auf dem Globus, haben es bislang aber nicht ins Bewusstsein der Verbraucher geschafft.« Der Ausbau des Händlernetzes stockt ebenfalls. Das liege allerdings an der deutschen Bürokratie. »Dass BYD erst rund ein Dutzend Partner hat, statt wie geplant mehr als 100, das liegt am Schneckentempo in Deutschland.« Während in China in drei, vier Monaten auf der grünen Wiese ein neuer Handelsbetrieb aus dem Boden gestampft wird, dauert allein der Umbau eines bestehen Händlers hierzulande bisweilen ein ganzes Jahr.
Zumindest die Sache mit der Bekanntheit allerdings könnte sich mit dem Seal schnell ändern: Der Hoffnungsträger wurde bei der IAA in München auf einen großen Stand vorgestellt. Am Flughafen München standen die Autos ganz frech dort bereit, wo sonst Audi immer zur Ausfahrt bittet.
Das ist uns aufgefallen: Der Fahrer ist im Seal sofort in seinem Element. Sobald die Spiegel- und Lenkradeinstellung per Touchscreen erledigt ist, fühlt man sich wohl in der Limousine. Es gibt reichlich Platz in der ersten wie der zweiten Reihe, die Sitzposition ist trotz der Akkus im Boden tiefer und damit natürlicher als bei den meisten anderen E-Autos, die Materialauswahl mindestens so fein wie im BMW i4. Das Tesla Model 3 wirkt dagegen spartanisch, und auch der VW ID.7 kommt da nicht mit.
Auch beim Fahren macht der Seal eine gute Figur. Weil die spezielle Batterie integraler Bestandteil der Karosserie ist, ist der Wagen besonders steif. Er wirkt deshalb souverän und lässt sich auch von groben Unebenheiten nicht aus der Ruhe bringen.
An Vortrieb herrscht – wie meist im Elektroauto – kein Mangel. Schon das Basismodell fährt mit einem 230 kW starken Motor im Heck vor. In der Topversion kommt noch eine zweite E-Maschine mit 160 kW an der Vorderachse dazu. Zusammen sind das 390 kW oder nach alter Währung 530 PS, mit denen der Seal in 3,8 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 beschleunigt. Anders als Tesla regelt BYD bereits bei 180 km/h ab, genauso wie der VW ID.7.
Weniger gut schaut der Seal bei den Assistenzsystemen aus. Zwar ist die vorbildliche Elektronikausstattung dank Onlineupdate immer auf dem neuesten Stand. Aber wie so oft bei Autos aus China sind die Systeme so fürsorglich und nervös, dass man sich bei all dem Gebimmel und Geblinke bisweilen fühlt wie in einer Spielothek. Immerhin kann man peu à peu die meisten Systeme abschalten.
Das muss man wissen: Schickes Design, attraktives Ambiente, souveräne Fahrleistungen – schön und gut. Aber was den Seal wirklich ausmacht, ist der Akku. Der Wagen basiert auf BYDs erster dezidierten Elektroplattform und ist um die sogenannten Blade-Zellen herumkonstruiert. Die heißen so, weil sie so lang und schlank sind wie eine Klinge und sich in einem Stück über nahezu die gesamte Fahrzeugbreite erstrecken. Das macht sie zum integralen Bestandteil der Struktur und spart dadurch reichlich Stahl – ein Grund dafür, dass der Seal mit 2055 Kilo in der Basisversion weniger wiegt als die meisten seinen Konkurrenten.
Auch die Zusammensetzung der Batteriezellen macht einen Unterschied: Anstatt herkömmlicher Lithium-Ionen-Akkus nutzt BYD die Lithium-Eisenphosphat-Technologie. Die ist preisgünstiger, zudem werden bedenkliche Materialien wie Nickel, Mangan und Kobalt überflüssig. Ferner steigt die Sicherheit: Mehrmals am Tag demonstrieren die Chinesen das im Hauptquartier in Shenzhen, indem sie einen Zimmermannsnagel erst in eine Lithium-Ionen-Zelle rammen und dann in eine Blade-Zelle. Mit einem Feuerball beim ersten und null Reaktion beim zweiten Versuch.
Für den Seal schnüren die Chinesen aus den Bladezellen ein Paket mit 82,5 kWh, das im Normzyklus für bis zu 570 Kilometer reicht. Nur beim Laden macht die Klinge keinen Schnitt: 11 kW an der Wallbox und maximal 150 kW am Gleichstrom sind auch in der Mittelklasse nicht mal mehr gehobener Durchschnitt.
BYD liefert den Seal hierzulande ab Oktober aus – zu Preisen ab 44.900 Euro für das Einstiegsmodell und mindestens 50.990 Euro für die Variante mit zwei Motoren. Damit liegt der BYD zwar nominell über dem Einstiegspreis des Tesla Model S, das aktuell ab 42.990 Euro verkauft wird. Aber der Seal kommt mit einer Akkuladung zehn Prozent weiter. Und ja, VW verspricht für den zum Jahreswechsel avisierten ID.7 mit einem 85-kWh-Akku bis zu 700 Kilometer Reichweite, will aber angeblich schon für das vorläufige Einstiegsmodell mit 77 kWh knapp 60.000 Euro verlangen.
Schon in ein paar Wochen will BYD der schnittigen Limousine ein SUV zur Seite stellen. Als Seal U reckt sich der Wagen dann ein wenig in die Höhe, bietet etwas mehr Platz auf allen Plätzen und etwas mehr Variabilität: So lassen sich die Rücksitze nicht nur umlegen, sondern auch in der Neigung verstellen. Nur auf den immerhin 53 Liter großen Frunk (vorderer Kofferraum) des Fließheckmodells müssen die SUV-Kunden verzichten. Der Grund: Der Seal U steht noch auf einer alten Plattform und wird in China auch mit Verbrenner angeboten.
Das werden wir nicht vergessen: Das riesige Tablet, das als Bedienzentrale vor der Mittelkonsole schwebt und sich per Fingertipp um 90 Grad dreht. Nicht, dass es senkrecht praktischer wäre als waagerecht. Doch die Funktion erinnert daran, dass es inzwischen oft die Chinesen sind, die im Autobau neue Perspektiven aufzeigen.